Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll – aber:  Wir sind eine kommunikationsgestörte Gesellschaft.

So geht das nicht weiter

Denn inzwischen ist ein Punkt erreicht, an dem mangelndes Demokratieverständnis und kommunikatives Unvermögen drohen, uns als Gesellschaft vor die Wand fahren zu lassen – wenn wir nicht endlich entschlossen gegensteuern. Das sind große Worte – ich weiß. Aber es gibt keine kleinen, behaglich-verantwortungsfreien Komfortzonen mehr, in die wir uns dauerhaft zurückziehen können, weil die Welt da draußen das einfach nicht mehr zulässt.

Konflikt ist kein Kindergarten

Wütende Proteste, rollende Trekker-Kolonnen, bedrängte Minister, denen der blanke Hass entgegenschlägt und deren Versuche, ins Gespräch zurückzufinden, mit Pfeifkonzerten und Beleidigungen quittiert werden. Hartnäckige und langwierige  Arbeitskämpfe und das Lahmlegen des kompletten Bahnverkehrs, um Forderungen durchzudrücken statt sich vernünftig an einen Tisch zu setzen und gemeinsam zu überlegen, wie eine tragbare Lösung aussehen könnte. Verteufelung und Kriminalisierung junger Menschen, die sich in ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung auf unsere Autobahnen setzen, weil sie Angst um ihre Zukunft haben und glauben, dass sie sich nicht anders als auf diese Weise Gehör verschaffen können.

Wir sind eine kommunikationsgestörte Gesellschaft

Geschrei, Gezänk, Vorwürfe, Beleidigungen – und sogar körperliche Gewalt. Destruktives Verhalten pur. Und viele der politischen Mandatsträger- und trägerinnen befeuern diese Atmosphäre noch, indem sie  ihren kleinkarierten und nur am nächsten Wahlergebnis orientieren Parteienstreit einfach obendrauf packen. Das ist kein erwachsener, besonnener Umgang und keine konstruktive Debatte mehr, das ist das Verhalten unreifer, impulsgesteuerter Kleinkinder, denen offenbar noch niemand ihre Grenzen aufgezeigt hat.

Es widert mich an

Wir haben ernsthafte Probleme genug. Einen Klimawandel, dessen Auswirkungen immer deutlicher zu spüren sind. Eine geopolitische Gesamtlage mit militärischen Konflikten, deren Auswirkungen für ganze Regionen verheerend sein können. Die Folgen einer Pandemie, die sicher nicht die Letzte gewesen sein wird. Das Bewältigen und Gestalten der digitalen Transformation. Und nicht zuletzt das Erstarken rechtsradikaler Kräfte, die sich immer weiter in das politische und gesellschaftliche Leben vorarbeiten, es unterwandern und sich mit ihrer Menschenverachtung und ihrem Hass in unserer Mitte festzusetzen drohen. Und die Reaktion darauf? Ein Bagatellisieren dieser Entwicklungen, ein nicht Hinsehen wollen (oder können) und im schlimmsten Fall ein sich gemein machen mit den radikalen Parolen und den einfachen Weltbildern.

Verantwortlich sind wir alle

‚Die machen sich doch alle die Taschen voll‘! ‚Auf Kosten von uns kleinen Leuten‘! ‚Die AfD sagt wenigstens, wie es ist!‘ – Wenn ich solche Sätze  höre oder lese, möchte ich manchmal am liebsten schreien: ‚Habt Ihr eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Oder wisst Ihr es einfach nicht besser?‘ Wobei das Eine im Grunde so schlimm ist wie das Andere.

Demokratie ist eine Mitmachveranstaltung

Aber vermutlich ist es genau so. Viele Menschen scheinen schlicht nicht genug über unser politisches System zu wissen. Sie wissen nicht, wie Demokratie funktioniert. Und auch nicht, wie man in einer Demokratie Konflikte austrägt. Hart in der Sache, aber respektvoll im Umgang. Mit Lösungen, die für alle tragbar sind. Die finden sich aber nur, wenn alle daran mitarbeiten. Wie man überhaupt mitarbeiten muss, damit eine demokratische Gesellschaft sich gut und stabil entwickeln kann. Was im übrigen bedeutet: JEDER trägt dafür Verantwortung. Im Moment habe ich allerdings den Eindruck, dass kaum jemand das wirklich weiß oder wissen will.

Gegensteuern – so schnell wie möglich

Wer gute Kommunikation will, auch in Konfliktsituationen, der muss bei sich anfangen. Das geht an die Adresse unserer politischen Entscheidungsträger. Schluss mit dem unentschlossenen, kleingeistigen, nur auf den kurzen (persönlichen) Erfolg ausgerichteten Geplänkel. Reißt Euch zusammen und bemüht Euch ehrlich um ein offenes und lösungsorientiertes Miteinander und erklärt es den Leuten. Und zwar besser als bisher. Und sorgt endlich dafür, dass in unseren Schulen Demokratieunterricht und respektvolle Konfliktkommunikation fester Bestandteil des Lehrplans werden. Redet, redet, redet – aber nicht hinter verschlossenen Türen und in kleinen Klüngelzirkeln, sondern mit den Menschen. Damit die endlich wieder Vertrauen in unser demokratisches System fassen.

Mithelfen können wir alle

Wir – damit meine ich uns Medienleute und uns als Gesellschaft. Ich finde, es ist jetzt wirklich an der Zeit, uns zu entscheiden, wie wir zusammenleben wollen. In Wut und Frust und Hass? Oder in einem konstruktiven, erwachsenen und vor allem solidarischen Miteinander. Das fordert uns einiges ab, ich weiß. Es ist schwer, sich mit Meinungen auseinanderzusetzen, die nicht die eigenen sind. Schwer, sich zu überlegen, ob an den Argumenten des anderen vielleicht doch irgendwas dran sein könnte. Gut wäre, mal einen Schritt zurückzutreten und sich die Dinge in Ruhe anzuschauen. Einfach zunächst Informationen sammeln, bevor man sich eine Meinung bildet. Und vor allem, dem anderen mit Sachlichkeit und Respekt zu begegnen. Vor allem,  wenn man doch viel lieber seinen Ärger los werden möchte. Wichtig wäre auch, darauf zu vertrauen, dass die Politik vielleicht doch ein Interesse daran haben könnte, dass es uns allen gut geht. Oder wenigstens ein bisschen besser.

Es lohnt sich

Und es ist der einzige Weg, den wir gehen können, wenn wir als demokratische Gesellschaft überleben wollen. Eine Gesellschaft, die miteinander reden kann, in der selbst Streit von einem grundsätzlichen gegenseitigen Respekt getragen wird. Eine Gesellschaft, die daran interessiert ist, Probleme konstruktiv zu lösen und die Grenzen aufzeigt. Grenzen gegenüber denjenigen, die sie mit ihrem Hass und ihren scheinbar ‚einfachen‘ Lösungen aufhetzen und unser demokratisches System zerstören wollen. Und die Menschen wie mich in geheimen Masterplänen bereits für die Vertreibung aus Deutschland vorgesehen haben.

Fazit

Die Demokratie ist – bei allen Herausforderungen und Unwägbarkeiten – die beste aller politischen Welten. Eine Welt, in der ich leben möchte. Und ich hoffe, viele andere auch. Dafür müssen wir aber raus aus unseren Komfortzonen und raus aus unserer eigenen Blase. Eben keine kommunikationsgestörte Gesellschaft, sondern rein in einen Dialog. Jetzt.