Wenn infantile Verhaltensmuster zur Gefahr für den gesellschaftlichen Dialog werden
Gesagt und Gemeint
„Schuld an allem ist die Ampel!“ – heißt: „Ich bin frustriert, ich verstehe nicht, was gerade passiert, will mich aber auch nicht weiter damit beschäftigen, sondern brauche jetzt einfach jemanden, an den ich die Verantwortung abschieben kann.“
oder
„Die Flüchtlinge leben von unseren Steuergeldern!“ – heißt: „Das Geld gehört uns. Wir wollen nichts davon abgeben und schon gar nicht an fremde Menschen.“
oder
„Aber was ist denn mit dem Linksextremismus?!“ – heißt: „Ich habe nichts gegen Rechtspopulismus und möchte deshalb auch nicht weiter darüber diskutieren, sondern lieber das Thema wechseln.“
oder
„Wollen Sie etwa unbescholtene Bürger in die rechte Ecke stellen und ihre freie Wahlentscheidung in Zweifel ziehen?!“ – heißt: „Ich habe AfD gewählt – na und?! Kann ich schließlich machen wie ich will!“
oder
„Du bist ja auch nur eine indoktrinierte Staatsfunk-Journalistin!“ – heißt: „Ich habe grundsätzlich kein Vertrauen in demokratische Strukturen und komme mit anderen Meinungen und Gegenargumenten einfach nicht zurecht.“
Wie bitte?
Ja – und das sind nur ein paar Beispiele von Kommunikation, wie sie mir in der letzten Zeit auf meinen Social Media Kanälen begegnet ist. Wie soll man mit sowas umgehen? Dagegenhalten? Erklären? Beschwichtigen? Ignorieren? Alles schwierig – deshalb ist es zunächst mal wichtig, zu verstehen, womit wir es hier überhaupt zu tun haben.
Die Merkmale der ‚infantilisierten‘ Kommunikation
Wir erleben sie im gesellschaftlichen Dialog – und hier vor allem in den Sozialen Medien:
- In der Distanzlosigkeit im sprachlichen Umgang mit Menschen, zu denen es keine persönliche Beziehung gibt (Duzen)
- In der Abwehr von Komplexität, für die es die Fähigkeit zur Abstraktion, zur Differenzierung und zur Anerkennung von Widersprüchen und Grenzen braucht
- Im Rückzug in den geschützten Raum der eigenen Kommunikationsblase (Bubble), in der man vor anderen Meinungen, Argumentationen und Anzweiflung der eigenen Haltung ‚sicher‘ ist
- In der geringen Frustrationstoleranz, die nicht akzeptieren kann, dass die eigenen Wünsche bzw. deren Erfüllung nicht das Maß aller Dinge sind
- In der Weigerung, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen und diese Verantwortung bzw. Verantwortlichkeit stattdessen ins Außen – also anderen Menschen (politischen/gesellschaftlichen Entscheidern) zuzuschieben
Was braucht eine ‚erwachsene‘ Kommunikation?
Sie braucht vor allem den ‚mündigen‘ Menschen. „Aber sind wir das denn nicht alle?“ werden jetzt viele fragen – möglicherweise sogar mit einem gewissen Unterton der Empörung. Wir sind es solange nicht, wie wir in der oben genannten Weise agieren. Als ‚mündiger‘ Mensch gilt seit der Aufklärung der, der den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Dazu gehören ganz entscheidend der Wille und die Bereitschaft, sich mit der Komplexität dieser Welt auseinanderzusetzen und das beständige Bestreben, diese Komplexität immer wieder neu zu begreifen. Und dazu gehört auch eine Kommunikation, die geprägt ist von Respekt, Toleranz und gegenseitiger Rücksichtnahme.
Wenn das die Basis unseres gesellschaftlichen Dialogs ist, können wir auch schwierige und kontroverse Themen zielführend diskutieren und zu (für alle) tragbaren Kompromissen finden.
Der Mut zur klaren Grenze
Erwachsene Kommunikation ist nicht mehr möglich, wenn sie auf infantilisierte Kommunikationsmuster trifft. Dort, wo es nur Abwehr, Angriffe, Abwertung und Wut gibt, kann Dialog nicht funktionieren. Ein zielführender Austausch, auch über strittige Fragen, gelingt nur, wenn wir nachdrücklich und immer wieder aufs Neue darauf bestehen, dass die allgemeinen Anstandsregeln einer vernunftbasierten Kommunikation eingehalten werden.
Werden sie das nicht, ist es absolut legitim, eine Kommunikationspause einzulegen. Und sich erst wieder auf die Fortsetzung des Dialogs einzulassen, wenn die andere Seite bereit ist, die Regeln zu akzeptieren. Der Grundsatz einer konsequenten Erziehung lässt sich in diesem Fall auf den gesellschaftlichen Dialog übertragen.
Fazit
Dass wir überhaupt so weit gekommen sind, jetzt in dieser Weise darüber nachdenken zu müssen, ist das Ergebnis einer jahrelangen und m.E. fatalen Entwicklung hin zu einer Diskussionskultur, die zu viel Nachsicht mit destruktiven Verhaltensweisen gezeigt hat und zu wenig Anstrengungen, diesen Verhaltensweisen nachdrücklich entgegenzutreten.
Diesen Prozess umzulenken ist eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Eine, die wir mutig angehen sollten.
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