Mehr Schein als Sein. Ein Phänomen, das mir in meinem Leben immer wieder begegnet ist. Im beruflichen wie im privaten Umfeld. Besonders geärgert hat es mich aber vor allem im Ersteren. Weil es Menschen nicht selten Vorteile verschafft, die sie kein bisschen verdient haben. Ich weiß, das mit dem verdient haben ist so eine Sache, weil es oft um eine subjektive Einschätzung geht. Trotzdem finde ich es auf eine erschreckende Weise faszinierend. Denn manchen gelingt es, von sich und ihren Leistungen ein Bild zu entwerfen, das bei näherer Betrachtung komplett in sich zusammenfällt. Und ich frage mich, warum das so ist.
Mehr Schein als Sein – Warum ist das so?
Vielleicht, weil viele einfach nicht genauer hinschauen wollen? Oder weil sie es möglicherweise auch gar nicht können? Braucht es besondere empathische Fähigkeiten, um wahrzunehmen, wann ein Mensch echt ist? Und auch wahrzunehmen, ob er tatsächlich die Kompetenzen besitzt, die wir ihm auf den ersten Blick gerne zusprechen möchten? Ich denke, ja. Es braucht eine grundsätzliche Bereitschaft, sich ehrlich mit jemandem auseinandersetzen zu wollen, ihn wirklich ‚sehen‘ zu wollen – seine Stärken, aber eben auch seine Schwächen. Und sich bei dieser Betrachtung nicht von persönlichen Sym- oder Antipathien leiten zu lassen. Das verlangt allerdings auch ein gehöriges Maß an Selbstreflexion. Und eine gewisse Art von ‚Lebensklugheit‘. Aber ohne das werden wir immer wieder erleben, dass Menschen mit Aufgaben betraut werden, denen sie schlicht nicht gewachsen sind. Inhaltlich nicht – und charakterlich auch nicht.

Vieles wird schöngeredet
Interessanterweise passiert in solchen Fällen fast immer das Gleiche. Es wird schöngeredet. Das funktioniert so: Jemand wird in eine Position gehoben. Schon nach kurzer Zeit zeigt sich, dass er nicht das bringt, was man eigentlich von ihm hätte erwarten können. Anstatt aber diese Diskrepanz anzusprechen und mit einer Weiterbildung nachzusteuern, verfahren viele Verantwortliche nach dem Vogel-Strauß-Prinzip. Ganz zu schweigen, dass Konsequenzen gezogen und Personalentscheidungen wieder korrigiert werden. Lieber Kopf in den Sand stecken und hoffen, dass es schon irgendwie laufen wird. Verbunden mit dem Hinweis, dass es doch gar nicht so schlimm sei wie von manchen kritisiert.
Sind wir zu bequem, Entscheidungen zu treffen?
Warum ist das so? Weil Handeln so anstrengend ist? Oder weil die Notwendigkeit eines Eingreifens gar nicht erst gesehen wird? Für Letzteres spricht oft der Umstand, dass bei Kritik von außen gerne abgewiegelt wird. Am Ende steht der, der diese Kritik geäußert hat, als missgünstiger Unruhestifter da. All das scheint ein reflexartiger Abwehrmechanismus zu sein, um die eigenen Entscheidungen nicht in Frage stellen zu müssen. Ein fataler Kreislauf aus mangelndem Einschätzungsvermögen, Bequemlichkeit und – ja – auch einer gewissen Feigheit. Diese unselige Struktur im Umgang mit Blendern finden wir überall. Leider. Nicht auszudenken, wie unsere Arbeitswelt oder unsere ganze Lebenswelt aussähe, wenn wir Blendwerk und wirkliches Können verlässlich auseinanderhalten würden. Der Weg dahin scheint ein langer und schwieriger zu sein. Aber wer nicht losläuft, der wird auch nicht ankommen. Und vielleicht ist das Erkennen dieser Zusammenhänge ein erster Schritt dahin.
Ich kenne das als „Peter-Prinzip“. Und solange in erster Linie herausragende Leistungen auf der bisherigen Ebene für Beförderungen relevant sind, wird sich daran auch nichts ändern. Beispiel:
„Zum Jahresende treffen sich die Aussendienstler eines Unternehmens zur Tagung und der über die letzten Jahre beste und erfolgreichste Verkäufer wird zum Regionalleiter befördert. Was haben wir dann? Einen guten Verkäufer weniger und einen schlechten Regionalleiter mehr!“
Bei konsequenter Anwendung dieses Prinzips wird halt jeder „Karrierist“ (wobei ich das nicht negativ konnotiert sehen möchte) bis auf die erste Stufe seiner Inkompetenz befördert und verharrt dann dort.
Allerdings halte ich es für unwahrscheinlich, dass man diese Inkompetenz schon innerhalb von Wochen oder Monaten bemerkt. Dafür bringen wir doch alle nach einer Beförderung erst einmal eine ganze Menge Bälle in die Luft und es dauert eine ganze Weile, bis die höheren Instanzen merken, dass das nicht der Einarbeitung geschuldet ist, sondern in der Person des Beförderten liegt. Und DANN bräuchten wir einen gesellschaftlichen Konsens, dass man so jemanden nicht „bestraft“, sondern ihn vielleicht unter Erhalt der Privilegien der neuen Position wieder in seine alte Position zurückturft. Diese alte Position dürfte allerdings in den meisten Fällen bereits neu vergeben sein …
Lieber Will,
vielen Dank für diese Rückmeldung.
Es wäre vieles so viel einfacher, wenn wir uns endlich dazu durchringen könnten, die Dinge pragmatisch und konstruktiv anzugehen und Entscheidungen nicht auf der Basis von vermeintlichen Erwartungen und ‚Druckszenarien‘ zu treffen, sondern aus der Überlegung, was das beste für ein Unternehmen, aber auch für den jeweiligen Mitarbeiter ist.
Beste Grüße,
Marion Kuchenny