Es beginnt scheinbar im Kleinen

In Bautzen wird es in Zukunft keine/n Ausländerbeauftragte/n mehr geben. Der neu gewählte Kreistag hat diese Stelle in seiner ersten konstituierenden Sitzung Anfang dieser Woche  abgeschafft. Auf Antrag der AfD. Mit einer Mehrheit von 47 der insgesamt 92 Stimmen. Die AfD stellt 32 Abgeordnete im Kreistag, was bedeutet, dass andere Fraktionen diesen Antrag unterstützt haben. Wer genau, lässt sich nicht nachverfolgen. Die Abstimmung war geheim.

Ein kommunales Amt als Streichposten?

Die kommunalen Ausländer- oder wie es inzwischen heißt – Integrationsbeauftragten sind wichtige Ansprechpartner für alle Menschen, die zu uns gekommen sind, um hier in Sicherheit zu sein, hier zu arbeiten und mit uns zu leben. Sie beraten und informieren, sie unterstützen und vermitteln bei Fragen und Problemen. Sie sind Brückenbauer und Wegbereiter für diejenigen, die ihren Platz in unserer Gesellschaft erst noch finden müssen.

Dass diese Stelle in Bautzen jetzt einfach mal eben – auf Betreiben der AfD – einkassiert wird, noch dazu in einem Landkreis, in dem (Stand Januar 2024) rund

  • 1.420 Asylbewerber
  • 3.680 ausländische EU-Bürgerinnen und -Bürger
  • 3.400 Geflüchtete aus der Ukraine
  • 4.140 Ausländer mit Aufenthaltserlaubnis

leben, zeigt vor allem eines:

Die Abkehr vom demokratischen Wertesystem

Diejenigen, die für diese Entscheidung verantwortlich sind, entfernen sich immer mehr vom Werte-Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung. Denn wo Integration offenbar so weit an Bedeutung verloren hat, dass man ihr das zuständige kommunale Amt entzieht, kann man davon ausgehen, dass sie gar nicht gewollt ist. Die Haltung dahinter ist vielmehr geprägt von Ausgrenzung, Abwertung von Menschen anderer Nationalität und Herkunft gepaart mit dem Ansatz der eigenen Selbstüberhöhung. Ein klassischer Nährboden für das, was uns in der deutschen Geschichte bereits einmal in aller Grausamkeit und Monstrosität vorgeführt worden ist.   

Nicht mehr kurz davor, sondern schon mittendrin

Dies ist aber schon längst nicht mehr nur der Anfang einer neuen Schreckensgeschichte, sondern es steht zu befürchten, dass wir bereits einige Kapitel weiter sind. Dabei hätten wir uns wehren können – und sogar müssen. Konsequent und frühzeitig. Stattdessen wurde viel zu oft beschwichtigt und kleingeredet. Weil Zivilcourage, das Dagegenhalten und das aktive Einstehen für seine Überzeugungen und Werte den Menschen aus seiner Komfortzone zwingen. Denn dafür braucht es Mut und Entschlossenheit und die Erkenntnis, dass ein solches Engagement unabdingbar ist, wenn man in einer freien, von Respekt getragenen, offenen und toleranten Gesellschaft leben will.

Ostdeutschland und die Demokratie

Ob diejenigen, die in Sachsen, in Thüringen und in Brandenburg – in vermutlich großer Zahl – der AfD und dem BSW ihre Stimme geben werden, das wirklich noch wollen – daran habe ich inzwischen ernsthafte Zweifel. Nach den Gründen für diese Hinwendung zu den extremen politischen Rändern gefragt, hat Wolf Biermann kürzlich in einem ZEIT-Online-Interview gesagt: „Die, die zu feige waren in der Diktatur, rebellieren jetzt ohne Risiko gegen die Demokratie. Den Bequemlichkeiten der Diktatur trauern sie nach, die Mühen der Demokratie sind ihnen fremd. Wagenknecht und Höcke sind das politische Brautpaar der Stunde. Da wächst in der Ex-DDR zusammen, was zusammengehört: die Erben des Hitlerschen Nationalsozialismus und des Stalinschen Nationalkommunismus.“ Klare und schonungslose Worte.

Hoffen auf die ‚Jungen‘?

Und auch wenn längst eine ganze Generation nach dem Mauerfall herangewachsen ist, die keine echte Erinnerung mehr an die Zeit vor der Teilung hat, bleibt – wie wir aus der Generationen- und Trauma-Forschung wissen – vieles von dem, was das Wertesystem einer Gesellschaft prägt, über viele Jahre in der sozialen DNA ebendieser Gesellschaft erhalten. Der Wandel vollzieht sich eher langsam als schnell. So ist es auch mit der politischen Sozialisation.

Was war im ‚Westen‘ anders?

In Westdeutschland war die Studentenbewegung der 60er-Jahre ein politischer Katalysator, der den Verdrängungsmechanismus der Wirtschaftswunderzeit ausgehebelt und das Aufarbeiten der NS-Diktatur eingefordert hat. Die Friedensbewegung der 70er und 80er hat diesen gesellschaftlichen Wunsch nach einem Bewusstseinswandel aufgenommen, ihn fortgeführt und in die Politik getragen. Nichts davon ist allerdings einfach gewesen. Der Diskurs zwischen den politischen und gesellschaftlichen Gruppen war heftig und die Proteste, die diesen Diskurs begleitet haben, waren es in Teilen auch. Und trotzdem ist unsere Demokratie in dieser Zeit gewachsen und sie hat sich gefestigt. Weil demokratische Willensbildung eben keine Erhaltung des Status-Quo ist, sondern eine Entwicklung. Etwas, das immer wieder neu ausgehandelt wird und für das wir immer wieder neue Kompromisse finden müssen. Das ist, wie Biermann es ausdrückt manchmal ‚mühevoll‘, aber – es lohnt sich.

Die vertane Chance der Wende

In Ostdeutschland hätte die Wende auch ein solcher Katalysator sein können. Aus heutiger Sicht muss man allerdings sagen: Sie war es leider nicht. Wer die Verantwortung dafür dem Westen zuschiebt, der den Osten ‚über den Tisch gezogen‘ und ‚übernommen‘ hat, macht es sich zu einfach. Jeder große Umbruch hat seine Profiteure und seine Verlierer, aber daraus eine verallgemeinernde ‚Unterdrückungserzählung‘ machen zu wollen, die in der Konsequenz dann auch noch die Hinwendung zu rechts- wie linksextremen politischen Kräften rechtfertigen soll, ist nicht nur unlauter, sondern auch verantwortungslos. Weil sich die Menschen, die diesen Kräften ihre Stimme geben, damit von jeder Verantwortung für ihr politisches Tun freisprechen wollen. Was ist einer Demokratie eigentlich nicht sein kann. Demokratie lebt von der Mündigkeit und dem Verantwortungsbewusstsein ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Fazit

Die Lage ist nicht nur schwierig, sie ist mehr als das. Wir stehen an einem neuen Wendepunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Punkt, an dem sich weisen muss, wie stark und stabil unsere Demokratie wirklich ist.

Ein letzte persönliche Anmerkung

Es gibt immer mehr Momente, in denen ich mir die Bonner Bundesrepublik zurückwünsche, in der ich aufgewachsen bin. Die auch die Ewiggestrigen und Extremen gut verkraften konnte, weil sie auf einem breiten und stabilen demokratischen Fundament gebaut war. Eine freiheitliche Demokratie, von der ich einfach nicht möchte, dass sie kaputtgemacht wird von Menschen, die sie nicht verstehen und sie offenbar auch nicht wollen. Vielleicht hat man versucht, etwas zusammenwachsen zu lassen, was unterm Strich einfach nicht zusammengehört. Ein trauriger Gedanke, ich weiß. Und es tut mir im Herzen leid für diejenigen, die sich in Ostdeutschland für ein demokratisches Miteinander einsetzen. Weil das inzwischen echte Zivilcourage erfordert und deshalb jeden Respekt verdient. Trotzdem glaube ich, dass wir anfangen müssen, darüber zu reden, ob es im Angesicht dessen, was sich spätestens nach der Landtagswahl in Brandenburg zeigen wird, noch eine gemeinsame Zukunft geben kann.